Sonntag, 24. Oktober 2010

See ya!

Hätte ich vor acht Wochen ein Bild vom Baltikum zeichnen müssen, so wären mir zwar die groben Umrisse gelungen, aber wäre dieses Bild ohne Leben, ohne Hintergründe geblieben, ein mehr oder weniger schwarzer Fleck auf der Landkarte.

Jetzt, gerade einmal wenige Wochen später, muss ich gestehen, dass ein Teil meines Herzens dort geblieben ist, dort, im Wald von Slitere. Am Anfang trat mir der Wald noch als grüne Hölle entgegen. Als ich meine ersten Gehversuche alleine abseits aller Wege machte, mich im Gestrüpp verhedderte und Myriaden Mücken nach meinem Blut trachteten und nicht wenig davon abzapfen konnten. So gesehen ist wirklich ein nicht unbeträchtlicher Teil von mir dort geblieben und dient nun kommenden Generationen.

Doch diese Sicht hat sich schnell gewandelt. Klar, die Mücken und ich wurden keine Freunde und auch die Hirschlausfliegen hatte ich nie gern im Zimmer, aber stehen sie doch auch dafür, dass der Wald nahezu unendlich viel Leben beherbergt. Ein Waldspaziergang mit ein paar Viechern in der Luft, dafür aber die Ahnung, dass da irgendwo ein Rothirsch, Dachs, Bieber oder gar Wolf und Luchs sein könnte, ist mir um einiges Lieber, als durch "Leere Hallen" zu laufen.

Doch sagenhafte Natur allein war es nicht, der ich begegnete. Es waren auch viele tolle und interessante Menschen, an deren Leben ich ein Wenig Teil haben durfte. Dafür geht ein ganz ganz großes Dankeschön an alle, deren Weg ich für kurz oder lang kreuzte.


Auch die Arbeit in der Nationalpark-Verwaltung hat mir Spaß gemacht. Doch nicht nur das, auch die Einblicke in Arbeitsabläufe und vor allem die intensive Einführung in das lettische Naturschutzsystem werden mich und mein Denken sicherlich noch lange begleiten.
Einerseits ist das lettische Naturschutzgesetz dem deutschen um einiges voraus, andererseits wird es systematisch nicht eingehalten – mit Druck von ganz oben. Und da die lettischen Forstbetriebe sich so viele und so große Harvester gekauft haben, dass sie kaum noch Wald haben und nun gerne die Nationalparke anpacken würden (die FSC-Zertifizierung haben sie schon verloren), sind alle froh, dass es das Baltic-Green-Belt Projekt gibt.

All diese Eindrücke nehme ich nun mit in meinen Alltag, der morgen wieder beginnt. Mal schauen, was diese Woche so bringt, das kann man ja nach einer längere Auszeit vorher nie genau wissen.
Eines weiss ich aber ganz sicher:
Sollte ich ein paar ruhige Momente haben, vielleicht sogar in der Nähe eines Baumes (davon gibt es ja auch ein paar Wenige hier), dann werden meine Gedanken den Weg gen Osten nehmen und sich im Wald von Slitere verfangen. 
Und ja, auch das stete Summen wird wieder zu hören sein – gehört ja schließlich dazu.
Ankunft in Travemünde (Den Koffer trage ich nur für einen anderen Passagier)



Sonntag, 17. Oktober 2010

Kurzer Bilder-Nachtrag

Marderhunds-Raabe Möwe im Seitenprofil

Möwes Voiliere - über dem Kopf ist noch die obere Begrenzung des alten Käfigs zu sehen,                                                                auf dem der neue aufgesattelt wurde

Wasserholen an heimischer Quelle - 100 Liter in einer Nacht

Von mir kartierter Baum - mitten im Wald

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Flieg, Möwe, flieg!

Es geht für mich nun langsam dem Ende zu und die letzten Tage habe ich vor allem damit verbracht, meine Arbeiten hier zu beenden und die Daten aufzubereiten.
Am Montag war ich für ein kurzes, einstündiges Intermezzo in der Schule von Dundaga, um den angehenden Abiturienten etwas von good old Germany, dem Schulsystem, meinem Aufenthalt in Ghana sowie vom Baltic-Green-Belt zu erzählen. Also eine kurze Geschichte von allem und nichts, das sich mein Leben nennt. Nachdem ungefähr 40 Schüler den Raum verließen begann für mich mental bereits der Heimweg.

Aber eines war noch zu tun: Möwe eine Voiliere zu bauen (bzw. Vilnis dabei zu zusehen und mit blöden Kommentaren zu nerven ;)

Möwe ist eigentlich ein Marderhund, aber auch nicht so richtig. Möwe lebt nur in einem Käfig, der für einen Marderhund gebaut wurde. Allerdings ist Möwe nicht irgendeine Möwe, eigentlich gar keine – es ist nur ein Name (vom lettischen übersetzt, um es meinen deutschen Lesern etwas anschaulicher zu erklären). Vilnis sagte immer, dass Möwe eigentlich wie ein Marderhund sei, weil Möwe nichts anderes kennt, als den niedrigen und kleenen Marderhundkäfig. Aber wenn ich nun Möwe und Vilnis beobachte kommt sie (oder er? - who knows; mein Rat war aufschneiden, fand Vilnis aber nicht so lustig ;-) mir eher vor wie eine Katze. Oder hat irgendwer schon einmal einen Raben gesehen, der sich liebend gerne das Kinn kraulen lässt???

Nun denn, Möwes Himmel hat sich nach zwei Tagen Arbeit, in der Höhe vervierfacht. Meine Hauptaufgabe war es, die Fichten zu fällen und als Gegengewicht beim Transport mit dem Pickup-Truck zu fungieren – meine schwerste Aufgabe hier.

Noch hat sich Möwe an die neue Freiheit nicht gewöhnen können, vielleicht plagten sie Alpträume, in denen sich der Himmel öffnet, oder er/sie/es will einfach noch nicht.
Aber schaun mer mal, wer weiss schon, was die Zukunft bringt?

See you soon in Germany, ich werde von zu hause ein kleines oder größeres Fazit schreiben,
Erik



Mittwoch, 6. Oktober 2010

Déjà-vu

Das Wochenende sollte mich mal wieder auf Reisen bringen – zusammen mit Anitra und Vilnis habe ich mich auf eine "journalistische" Reise durch den Nord-Osten Lettlands begeben.

Unterweg mit Fernglas und Spektiv


Am Samstagmorgen fahren wir von Riga aus nach Salacgriva, wo wir am Birdwatch-Wochenende an einer ornithologischen Exkursion teilnehmen. Im Anschluss führt uns Andris (unser Guide vom lettischen Amt für Naturschutz) zu einem Ort, an dem Neunaugen gefangen und gegessen werden – es war eine Art kleines Volksfest mit folkore Musik und Entertainment. Der Fluss Salaca ist einer der wenigen Flüsse in Europa, an dem sie gefangen werden dürfen und für diesen Zweck sind drei feste Konstruktionen mit Netzen in den Fluss gebaut, die die Neunaugen auf ihrer letzten Wanderung von der Ostsee zu ihren Laichgründen im Fluss fangen. Im Rest Europas ist das Neunauge eine gefährdete Spezies, doch in diesem Biosphärenreservat gibt es noch einen natürlichen, sauberen, Sauerstoff reichen Fluss, an dem sie sehr zahlreich sind.

Neunaugenfangzaun in der Salaca
Nach einigen weiteren Stunden und Stationen im Norden Lettlands und im Süden Estland kommen wir Abends in dem Ort (Dem Büro der Biosphärenreservatsverwaltung) an, in dem wir die Nacht verbringen werden. Beim Anblick der Straße formen meine Mundwinkel ein Lächeln, denn ich habe ein Déjà-vu:
Wir hatten hier unseren letzten Halt in Lettland, bevor es nach Vormsi gehen sollte und alles kommt mir bekannt vor.Ich erkenne den kleinen Laden wieder, hier war der Platz, auf dem wir Hackysack gespielt haben, hier in dem Restaurant hatte ich einen leckeren Kaffee - es ist doch immer schön, alte Bekannte wieder zu sehen.

"Wem kommt das bekannt vor?"
In den folgenden Tagen besuchen wir die Gauja-Region, einem sehr natürlichen Fluss, der sich noch selbst sein Flussbett suchen kann und nicht in einen engen Kanal gezwängt wurde. Die Mäanderform wandelt sich stetig und bietet zahlreiche Habitate für seltene Arten.

Natürliche Flussdynamik – steile Erosionshänge links, flaches Ablagerungsufer rechts

Solche Wildheit muss man in Deutschland leider intensiv suchen, wenn sie überhaupt noch vorhanden ist. Gerade deshalb ist es umso wichtiger, unsere letzten Prunkstücke mit aller Macht zu bewahren und im europäischen Verbund dafür zu sorgen, dass die großen natürlichen Gegenden in unserer Nähe nicht die selbe Entwicklung durchmachen, wie der Rest. Das geht aber nur, wenn die Natur von den Menschen vor Ort als schützens- und erhaltenswert angesehen wird. Darum geht's.


Freitag, 1. Oktober 2010

Meine vierte Woche hat begonnen

"Slitere please." Kurzes Zögern und überlegen, dann die Antwort: "50 Zantims please."
Kein Problem, ich bin ja vorbereitet und fische aus meiner linken Hosentasche einen Lat heraus. Im Gegenzug bekomme ich 50 Zantims Wechselgeld und einen Fahrschein zurück. Paldies sage ich – Dankeschön.
Ha, klappt ja ganz gut – ich falle ja fast gar nicht mehr auf. 
 
Auf der Suche nach einem Sitzplatz lasse ich meinen Blick über die Sitze in dem etwas größeren Transporter wandern – viele Schulkinder und alle schauen mich an. Mist, so ganz undercover geht’s doch noch nicht.
Laute Musik dröhnt aus den Boxen, Katie Perry's carlifornia gurlz ist auch hier ein großer Hit und schallt gegen die Morgenmüdigkeit fast auf Disconiveau aus dem Lautsprecher – nur gut, dass ich einen Platz direkt über der Box ergattert hatte, jetzt weiß ich auch, warum er noch frei war.


Die Fahrt im Bus vergeht wie im Fluge, nur der Fußweg im Anschluss– der horizontale Regen, vom Wind gepeitscht, versucht mein Fortkommen mit aller Kraft zu verhindern. Ich lasse mich aber nicht aufhalten, die Baseballcap ins Gesicht gezogen halte ich den Blick strickt nach vorn und finde meinen Weg zum Haus der Nationalparkverwaltung. Der Regen wütet mal wieder seit drei Tagen, und so habe ich mir mal einen Tag Büroarbeit gegönnt: Übersetzen des Buchs „Die Naturschutzschonstätte Moritzholm“ (K.R. Kupffer) und – was für mich etwas spannender ist – die Implementierung einer deutschen Version von www.slitere.lv mit der ich hoffentlich noch vor Beendigung des Praktikums zu Potte komme.
Wenn's weiter so regnet wird das kein Problem sein, aber schaun mer ma!

Nach Beendigung meines 8,5 Stunden-Bürotages mache ich mich über Irkaschs Gemüse her. Der Typ ist unglaublich und hat mir glatt einen ganzen Kübel voller Gemüse geschenkt – Karotten, Tomaten, Sellerie, Zwiebeln, einen großen Kürbis und dazu noch Petersilie, Basilikum und Schnittlauch – so viel, dass ich davon die ganze Woche essen kann - und das werde ich!
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Der nächste Tag verschlägt mich nach Ventspils, wo mir Dace (die Direktorin der Nationalpark Verwaltung) einige Sehenswürdigkeiten zeigt. Das Schloss beherbergt eine sehr moderne Ausstellung über die Geschichte von Kurzeme, angefangen von Funden aus der Steinzeit, bis zum zweiten Weltkrieg. Auch befindet sich hier gerade eine temporäre Trophäensammlung:


Haus der Dichter

Evangelische Kirche
Ventspils Castle

Tote Tiere

Alte Waffen - mit Metalldetektor im Wald gefunden

Im Anschluss treffen wir uns mit Vilnis zum Lunch und es entfacht eine sehr interessante Diskussion über Touristen, Besucherlenkung und Ziele des Naturschutzes. Litauen hat zwar eine sehr gute Umweltgestezgebung, das Problem ist leider die Umsetzung. Es wird sich selten an geltendes Recht gehalten und die höheren administrativen Ebenen forcieren ein solches Verhalten. Gut, dass am Samstag Parlamentswahlen sind und sich etwas ändern könnte. Schlecht, dass 80% der Litauer nicht glauben, dass diese Wahl ohne Wahlbetrug über die bühne geht. Eine kurze Recherche ergab, dass die Medienfreiheit auf eine Stufe mit Ghana gestellt wird, meinem letzten Auslandsaufenthalt, zu dessen Zeitpunkt zufälliger Weise auch gerade Wahlen war. Ich habe anscheinend einen Faible für Länder in Wahlzeiten oder einfach gutes Timing. Von den Wahlen in Ghana habe ich ein klares Bild, das sich in drei Stichsätzen festhalten lässt:

  • Es gibt keine „freien“ Wahlen wie wir es gewohnt sind, sondern es wird gewählt, wer einem als nächstes steht, wer dem eigenen Volksstamm angehört (davon gibt es in Ghana sehr viele), wer am meisten Geld bietet

  • Die Parteien profitieren vom geringen Bildungstand der Wähler (ein ghanaischer Politiker sagte zu einem Freund von mir: Natürlich profitieren wir davon, dass die Wähler nicht lesen können)

  • Von Deutschen Vertretern wird Ghana als der afrikanische Staat genannt, dessen Ökonomie und Demokratie am besten funktioniert (Was dann mit dann mit den anderen afrikanischen Staaten ist, kann man sich denken)
Zu guter Letzt:

Wenn Litauen also – ein Staat der europäischen Union - auf einer Stufe mit diesem Land genannt wird, dann bin ich schon sehr gespannt auf Samstag - Day of election.



Nach dem netten Gespräch fahre ich mit Vilnis heim und bereite mich seelisch darauf vor, den restlichen Nachmittag mit Einkaufen, Emails, Blog und entspannen zu verbringen – doch nix da. Zehn Minuten nachdem wir zu hause sind fragt Vilnis ganz unschuldig: You want to go to Forest? Seeing Beaver?
Ohne zu zögern sage zu, wer kann da nein sagen?

Dreissig Minuten später sind wir mitten im Wald, folgen einem kleinen Bachlauf mit einem der beiden Wasserfälle (70cm hoch). Auf einmal steht etwa 50 Meter vor uns eine Rotwild Kuh mit ihrem Kleenen vor uns und starrt uns an. Ich starre mit einem Grinsen zurück und nach wenigen Sekunden ziehen sie weiter.
Bei der Biberburg angekommen sucht Vilnis nach geeigneten Bäumen für unseren Beobachtungspunkt, den wir errichten werden, wie ich hier erfahre.




Und so einfach geht’s:
Man suche eine Baumgruppe in der Nähe der Burg, fälle acht Fichten mit einem Durchmesser von etwa 15 bis 20 Zentimetern, entferne die Äste. Drei Bäume werden zu einer Leiter, wobei einer in 40 Zentimeter Stücke zersägt wird, die als Sprossen dienen.



Man lege die fertige Leiter an einen Baum, klettere hoch und befestige Verbindungsstücke zwischen der Baumgruppe. Die unteren Stücke dienen als Fußstütze, auf den oberen wird eine Sitzbank befestigt, wobei die Stücke jeweils mit einem Seil nach oben geliftet werden, wie im Anschluss auch die Rucksäcke. Wenn alles oben ist und der Hochsitz fast fertig, nehme man das Seil und befestige es als Rückenstütze um die Baumgruppe – et voila – fertig ist der Hochsitz, von dem ich meinen ersten Biber in freier Wildbahn sehe.

Ich hoffe meine Mutter dreht mir bei Wiederkehr nicht den Hals um, wenn sie diese Bilder sehen sollte. Aber es war alles in bester Ordnung. Vilnis hat schon viele solcher Hochsitze gebastelt und nur wenige davon sind zusammen gekracht. Auch gab er mir den Rat, mich an dem Seil und einem Baum festzuhalten, sollte etwas passieren – für Sicherheit war also bestens gesorgt :-)

Leider sind wir etwas spät dran - es war bereits 19Uhr als wir fertig waren - so dass der Biber nach all dem Lärm erst in der Dämmerung heimkehrt und sich nicht zu nah herantraut. Aber es ist schon lustig durch das Fernglas zu sehen, wie er an einem Baum nagt und welche Geräusche er dabei produziert.

In nahezu völliger Dunkelheit machen wir uns dann von Dannen und suchen in der Dunkelheit unseren Weg heim – wir haben beide unsere Lampen vergessen. Über Stock und Stein, knietiefes Wasser und mit nur sehr sehr wenig Mondschein finden wir unseren Weg, den wir vorher zum Glück mit der Säge etwas frei gemacht haben. Der Biber hat überall seine Zähne im Spiel und legt unzählige Bäume um und knietiefe Gräben an, um die Bäume abzutransportieren – ein possierliches und hart arbeitendes Tierchen.





Am Freitag geht’s dann nach Riga, wo ich mit Vilnis und Anitra bis Samstag bleibe, danach geht’s in ein Biosphärenreservat im Osten des Landes und wir fahren bis zur estnischen Grenze. Und wie es ausschaut werde ich Riga mal bei Sonne kennen lernen, aber ich möchte hier nichts verschreien ;)
Schönes Wochenende!