Freitag, 1. Oktober 2010

Meine vierte Woche hat begonnen

"Slitere please." Kurzes Zögern und überlegen, dann die Antwort: "50 Zantims please."
Kein Problem, ich bin ja vorbereitet und fische aus meiner linken Hosentasche einen Lat heraus. Im Gegenzug bekomme ich 50 Zantims Wechselgeld und einen Fahrschein zurück. Paldies sage ich – Dankeschön.
Ha, klappt ja ganz gut – ich falle ja fast gar nicht mehr auf. 
 
Auf der Suche nach einem Sitzplatz lasse ich meinen Blick über die Sitze in dem etwas größeren Transporter wandern – viele Schulkinder und alle schauen mich an. Mist, so ganz undercover geht’s doch noch nicht.
Laute Musik dröhnt aus den Boxen, Katie Perry's carlifornia gurlz ist auch hier ein großer Hit und schallt gegen die Morgenmüdigkeit fast auf Disconiveau aus dem Lautsprecher – nur gut, dass ich einen Platz direkt über der Box ergattert hatte, jetzt weiß ich auch, warum er noch frei war.


Die Fahrt im Bus vergeht wie im Fluge, nur der Fußweg im Anschluss– der horizontale Regen, vom Wind gepeitscht, versucht mein Fortkommen mit aller Kraft zu verhindern. Ich lasse mich aber nicht aufhalten, die Baseballcap ins Gesicht gezogen halte ich den Blick strickt nach vorn und finde meinen Weg zum Haus der Nationalparkverwaltung. Der Regen wütet mal wieder seit drei Tagen, und so habe ich mir mal einen Tag Büroarbeit gegönnt: Übersetzen des Buchs „Die Naturschutzschonstätte Moritzholm“ (K.R. Kupffer) und – was für mich etwas spannender ist – die Implementierung einer deutschen Version von www.slitere.lv mit der ich hoffentlich noch vor Beendigung des Praktikums zu Potte komme.
Wenn's weiter so regnet wird das kein Problem sein, aber schaun mer ma!

Nach Beendigung meines 8,5 Stunden-Bürotages mache ich mich über Irkaschs Gemüse her. Der Typ ist unglaublich und hat mir glatt einen ganzen Kübel voller Gemüse geschenkt – Karotten, Tomaten, Sellerie, Zwiebeln, einen großen Kürbis und dazu noch Petersilie, Basilikum und Schnittlauch – so viel, dass ich davon die ganze Woche essen kann - und das werde ich!
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Der nächste Tag verschlägt mich nach Ventspils, wo mir Dace (die Direktorin der Nationalpark Verwaltung) einige Sehenswürdigkeiten zeigt. Das Schloss beherbergt eine sehr moderne Ausstellung über die Geschichte von Kurzeme, angefangen von Funden aus der Steinzeit, bis zum zweiten Weltkrieg. Auch befindet sich hier gerade eine temporäre Trophäensammlung:


Haus der Dichter

Evangelische Kirche
Ventspils Castle

Tote Tiere

Alte Waffen - mit Metalldetektor im Wald gefunden

Im Anschluss treffen wir uns mit Vilnis zum Lunch und es entfacht eine sehr interessante Diskussion über Touristen, Besucherlenkung und Ziele des Naturschutzes. Litauen hat zwar eine sehr gute Umweltgestezgebung, das Problem ist leider die Umsetzung. Es wird sich selten an geltendes Recht gehalten und die höheren administrativen Ebenen forcieren ein solches Verhalten. Gut, dass am Samstag Parlamentswahlen sind und sich etwas ändern könnte. Schlecht, dass 80% der Litauer nicht glauben, dass diese Wahl ohne Wahlbetrug über die bühne geht. Eine kurze Recherche ergab, dass die Medienfreiheit auf eine Stufe mit Ghana gestellt wird, meinem letzten Auslandsaufenthalt, zu dessen Zeitpunkt zufälliger Weise auch gerade Wahlen war. Ich habe anscheinend einen Faible für Länder in Wahlzeiten oder einfach gutes Timing. Von den Wahlen in Ghana habe ich ein klares Bild, das sich in drei Stichsätzen festhalten lässt:

  • Es gibt keine „freien“ Wahlen wie wir es gewohnt sind, sondern es wird gewählt, wer einem als nächstes steht, wer dem eigenen Volksstamm angehört (davon gibt es in Ghana sehr viele), wer am meisten Geld bietet

  • Die Parteien profitieren vom geringen Bildungstand der Wähler (ein ghanaischer Politiker sagte zu einem Freund von mir: Natürlich profitieren wir davon, dass die Wähler nicht lesen können)

  • Von Deutschen Vertretern wird Ghana als der afrikanische Staat genannt, dessen Ökonomie und Demokratie am besten funktioniert (Was dann mit dann mit den anderen afrikanischen Staaten ist, kann man sich denken)
Zu guter Letzt:

Wenn Litauen also – ein Staat der europäischen Union - auf einer Stufe mit diesem Land genannt wird, dann bin ich schon sehr gespannt auf Samstag - Day of election.



Nach dem netten Gespräch fahre ich mit Vilnis heim und bereite mich seelisch darauf vor, den restlichen Nachmittag mit Einkaufen, Emails, Blog und entspannen zu verbringen – doch nix da. Zehn Minuten nachdem wir zu hause sind fragt Vilnis ganz unschuldig: You want to go to Forest? Seeing Beaver?
Ohne zu zögern sage zu, wer kann da nein sagen?

Dreissig Minuten später sind wir mitten im Wald, folgen einem kleinen Bachlauf mit einem der beiden Wasserfälle (70cm hoch). Auf einmal steht etwa 50 Meter vor uns eine Rotwild Kuh mit ihrem Kleenen vor uns und starrt uns an. Ich starre mit einem Grinsen zurück und nach wenigen Sekunden ziehen sie weiter.
Bei der Biberburg angekommen sucht Vilnis nach geeigneten Bäumen für unseren Beobachtungspunkt, den wir errichten werden, wie ich hier erfahre.




Und so einfach geht’s:
Man suche eine Baumgruppe in der Nähe der Burg, fälle acht Fichten mit einem Durchmesser von etwa 15 bis 20 Zentimetern, entferne die Äste. Drei Bäume werden zu einer Leiter, wobei einer in 40 Zentimeter Stücke zersägt wird, die als Sprossen dienen.



Man lege die fertige Leiter an einen Baum, klettere hoch und befestige Verbindungsstücke zwischen der Baumgruppe. Die unteren Stücke dienen als Fußstütze, auf den oberen wird eine Sitzbank befestigt, wobei die Stücke jeweils mit einem Seil nach oben geliftet werden, wie im Anschluss auch die Rucksäcke. Wenn alles oben ist und der Hochsitz fast fertig, nehme man das Seil und befestige es als Rückenstütze um die Baumgruppe – et voila – fertig ist der Hochsitz, von dem ich meinen ersten Biber in freier Wildbahn sehe.

Ich hoffe meine Mutter dreht mir bei Wiederkehr nicht den Hals um, wenn sie diese Bilder sehen sollte. Aber es war alles in bester Ordnung. Vilnis hat schon viele solcher Hochsitze gebastelt und nur wenige davon sind zusammen gekracht. Auch gab er mir den Rat, mich an dem Seil und einem Baum festzuhalten, sollte etwas passieren – für Sicherheit war also bestens gesorgt :-)

Leider sind wir etwas spät dran - es war bereits 19Uhr als wir fertig waren - so dass der Biber nach all dem Lärm erst in der Dämmerung heimkehrt und sich nicht zu nah herantraut. Aber es ist schon lustig durch das Fernglas zu sehen, wie er an einem Baum nagt und welche Geräusche er dabei produziert.

In nahezu völliger Dunkelheit machen wir uns dann von Dannen und suchen in der Dunkelheit unseren Weg heim – wir haben beide unsere Lampen vergessen. Über Stock und Stein, knietiefes Wasser und mit nur sehr sehr wenig Mondschein finden wir unseren Weg, den wir vorher zum Glück mit der Säge etwas frei gemacht haben. Der Biber hat überall seine Zähne im Spiel und legt unzählige Bäume um und knietiefe Gräben an, um die Bäume abzutransportieren – ein possierliches und hart arbeitendes Tierchen.





Am Freitag geht’s dann nach Riga, wo ich mit Vilnis und Anitra bis Samstag bleibe, danach geht’s in ein Biosphärenreservat im Osten des Landes und wir fahren bis zur estnischen Grenze. Und wie es ausschaut werde ich Riga mal bei Sonne kennen lernen, aber ich möchte hier nichts verschreien ;)
Schönes Wochenende!

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