Sonntag, 24. Oktober 2010

See ya!

Hätte ich vor acht Wochen ein Bild vom Baltikum zeichnen müssen, so wären mir zwar die groben Umrisse gelungen, aber wäre dieses Bild ohne Leben, ohne Hintergründe geblieben, ein mehr oder weniger schwarzer Fleck auf der Landkarte.

Jetzt, gerade einmal wenige Wochen später, muss ich gestehen, dass ein Teil meines Herzens dort geblieben ist, dort, im Wald von Slitere. Am Anfang trat mir der Wald noch als grüne Hölle entgegen. Als ich meine ersten Gehversuche alleine abseits aller Wege machte, mich im Gestrüpp verhedderte und Myriaden Mücken nach meinem Blut trachteten und nicht wenig davon abzapfen konnten. So gesehen ist wirklich ein nicht unbeträchtlicher Teil von mir dort geblieben und dient nun kommenden Generationen.

Doch diese Sicht hat sich schnell gewandelt. Klar, die Mücken und ich wurden keine Freunde und auch die Hirschlausfliegen hatte ich nie gern im Zimmer, aber stehen sie doch auch dafür, dass der Wald nahezu unendlich viel Leben beherbergt. Ein Waldspaziergang mit ein paar Viechern in der Luft, dafür aber die Ahnung, dass da irgendwo ein Rothirsch, Dachs, Bieber oder gar Wolf und Luchs sein könnte, ist mir um einiges Lieber, als durch "Leere Hallen" zu laufen.

Doch sagenhafte Natur allein war es nicht, der ich begegnete. Es waren auch viele tolle und interessante Menschen, an deren Leben ich ein Wenig Teil haben durfte. Dafür geht ein ganz ganz großes Dankeschön an alle, deren Weg ich für kurz oder lang kreuzte.


Auch die Arbeit in der Nationalpark-Verwaltung hat mir Spaß gemacht. Doch nicht nur das, auch die Einblicke in Arbeitsabläufe und vor allem die intensive Einführung in das lettische Naturschutzsystem werden mich und mein Denken sicherlich noch lange begleiten.
Einerseits ist das lettische Naturschutzgesetz dem deutschen um einiges voraus, andererseits wird es systematisch nicht eingehalten – mit Druck von ganz oben. Und da die lettischen Forstbetriebe sich so viele und so große Harvester gekauft haben, dass sie kaum noch Wald haben und nun gerne die Nationalparke anpacken würden (die FSC-Zertifizierung haben sie schon verloren), sind alle froh, dass es das Baltic-Green-Belt Projekt gibt.

All diese Eindrücke nehme ich nun mit in meinen Alltag, der morgen wieder beginnt. Mal schauen, was diese Woche so bringt, das kann man ja nach einer längere Auszeit vorher nie genau wissen.
Eines weiss ich aber ganz sicher:
Sollte ich ein paar ruhige Momente haben, vielleicht sogar in der Nähe eines Baumes (davon gibt es ja auch ein paar Wenige hier), dann werden meine Gedanken den Weg gen Osten nehmen und sich im Wald von Slitere verfangen. 
Und ja, auch das stete Summen wird wieder zu hören sein – gehört ja schließlich dazu.
Ankunft in Travemünde (Den Koffer trage ich nur für einen anderen Passagier)



Sonntag, 17. Oktober 2010

Kurzer Bilder-Nachtrag

Marderhunds-Raabe Möwe im Seitenprofil

Möwes Voiliere - über dem Kopf ist noch die obere Begrenzung des alten Käfigs zu sehen,                                                                auf dem der neue aufgesattelt wurde

Wasserholen an heimischer Quelle - 100 Liter in einer Nacht

Von mir kartierter Baum - mitten im Wald

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Flieg, Möwe, flieg!

Es geht für mich nun langsam dem Ende zu und die letzten Tage habe ich vor allem damit verbracht, meine Arbeiten hier zu beenden und die Daten aufzubereiten.
Am Montag war ich für ein kurzes, einstündiges Intermezzo in der Schule von Dundaga, um den angehenden Abiturienten etwas von good old Germany, dem Schulsystem, meinem Aufenthalt in Ghana sowie vom Baltic-Green-Belt zu erzählen. Also eine kurze Geschichte von allem und nichts, das sich mein Leben nennt. Nachdem ungefähr 40 Schüler den Raum verließen begann für mich mental bereits der Heimweg.

Aber eines war noch zu tun: Möwe eine Voiliere zu bauen (bzw. Vilnis dabei zu zusehen und mit blöden Kommentaren zu nerven ;)

Möwe ist eigentlich ein Marderhund, aber auch nicht so richtig. Möwe lebt nur in einem Käfig, der für einen Marderhund gebaut wurde. Allerdings ist Möwe nicht irgendeine Möwe, eigentlich gar keine – es ist nur ein Name (vom lettischen übersetzt, um es meinen deutschen Lesern etwas anschaulicher zu erklären). Vilnis sagte immer, dass Möwe eigentlich wie ein Marderhund sei, weil Möwe nichts anderes kennt, als den niedrigen und kleenen Marderhundkäfig. Aber wenn ich nun Möwe und Vilnis beobachte kommt sie (oder er? - who knows; mein Rat war aufschneiden, fand Vilnis aber nicht so lustig ;-) mir eher vor wie eine Katze. Oder hat irgendwer schon einmal einen Raben gesehen, der sich liebend gerne das Kinn kraulen lässt???

Nun denn, Möwes Himmel hat sich nach zwei Tagen Arbeit, in der Höhe vervierfacht. Meine Hauptaufgabe war es, die Fichten zu fällen und als Gegengewicht beim Transport mit dem Pickup-Truck zu fungieren – meine schwerste Aufgabe hier.

Noch hat sich Möwe an die neue Freiheit nicht gewöhnen können, vielleicht plagten sie Alpträume, in denen sich der Himmel öffnet, oder er/sie/es will einfach noch nicht.
Aber schaun mer mal, wer weiss schon, was die Zukunft bringt?

See you soon in Germany, ich werde von zu hause ein kleines oder größeres Fazit schreiben,
Erik



Mittwoch, 6. Oktober 2010

Déjà-vu

Das Wochenende sollte mich mal wieder auf Reisen bringen – zusammen mit Anitra und Vilnis habe ich mich auf eine "journalistische" Reise durch den Nord-Osten Lettlands begeben.

Unterweg mit Fernglas und Spektiv


Am Samstagmorgen fahren wir von Riga aus nach Salacgriva, wo wir am Birdwatch-Wochenende an einer ornithologischen Exkursion teilnehmen. Im Anschluss führt uns Andris (unser Guide vom lettischen Amt für Naturschutz) zu einem Ort, an dem Neunaugen gefangen und gegessen werden – es war eine Art kleines Volksfest mit folkore Musik und Entertainment. Der Fluss Salaca ist einer der wenigen Flüsse in Europa, an dem sie gefangen werden dürfen und für diesen Zweck sind drei feste Konstruktionen mit Netzen in den Fluss gebaut, die die Neunaugen auf ihrer letzten Wanderung von der Ostsee zu ihren Laichgründen im Fluss fangen. Im Rest Europas ist das Neunauge eine gefährdete Spezies, doch in diesem Biosphärenreservat gibt es noch einen natürlichen, sauberen, Sauerstoff reichen Fluss, an dem sie sehr zahlreich sind.

Neunaugenfangzaun in der Salaca
Nach einigen weiteren Stunden und Stationen im Norden Lettlands und im Süden Estland kommen wir Abends in dem Ort (Dem Büro der Biosphärenreservatsverwaltung) an, in dem wir die Nacht verbringen werden. Beim Anblick der Straße formen meine Mundwinkel ein Lächeln, denn ich habe ein Déjà-vu:
Wir hatten hier unseren letzten Halt in Lettland, bevor es nach Vormsi gehen sollte und alles kommt mir bekannt vor.Ich erkenne den kleinen Laden wieder, hier war der Platz, auf dem wir Hackysack gespielt haben, hier in dem Restaurant hatte ich einen leckeren Kaffee - es ist doch immer schön, alte Bekannte wieder zu sehen.

"Wem kommt das bekannt vor?"
In den folgenden Tagen besuchen wir die Gauja-Region, einem sehr natürlichen Fluss, der sich noch selbst sein Flussbett suchen kann und nicht in einen engen Kanal gezwängt wurde. Die Mäanderform wandelt sich stetig und bietet zahlreiche Habitate für seltene Arten.

Natürliche Flussdynamik – steile Erosionshänge links, flaches Ablagerungsufer rechts

Solche Wildheit muss man in Deutschland leider intensiv suchen, wenn sie überhaupt noch vorhanden ist. Gerade deshalb ist es umso wichtiger, unsere letzten Prunkstücke mit aller Macht zu bewahren und im europäischen Verbund dafür zu sorgen, dass die großen natürlichen Gegenden in unserer Nähe nicht die selbe Entwicklung durchmachen, wie der Rest. Das geht aber nur, wenn die Natur von den Menschen vor Ort als schützens- und erhaltenswert angesehen wird. Darum geht's.


Freitag, 1. Oktober 2010

Meine vierte Woche hat begonnen

"Slitere please." Kurzes Zögern und überlegen, dann die Antwort: "50 Zantims please."
Kein Problem, ich bin ja vorbereitet und fische aus meiner linken Hosentasche einen Lat heraus. Im Gegenzug bekomme ich 50 Zantims Wechselgeld und einen Fahrschein zurück. Paldies sage ich – Dankeschön.
Ha, klappt ja ganz gut – ich falle ja fast gar nicht mehr auf. 
 
Auf der Suche nach einem Sitzplatz lasse ich meinen Blick über die Sitze in dem etwas größeren Transporter wandern – viele Schulkinder und alle schauen mich an. Mist, so ganz undercover geht’s doch noch nicht.
Laute Musik dröhnt aus den Boxen, Katie Perry's carlifornia gurlz ist auch hier ein großer Hit und schallt gegen die Morgenmüdigkeit fast auf Disconiveau aus dem Lautsprecher – nur gut, dass ich einen Platz direkt über der Box ergattert hatte, jetzt weiß ich auch, warum er noch frei war.


Die Fahrt im Bus vergeht wie im Fluge, nur der Fußweg im Anschluss– der horizontale Regen, vom Wind gepeitscht, versucht mein Fortkommen mit aller Kraft zu verhindern. Ich lasse mich aber nicht aufhalten, die Baseballcap ins Gesicht gezogen halte ich den Blick strickt nach vorn und finde meinen Weg zum Haus der Nationalparkverwaltung. Der Regen wütet mal wieder seit drei Tagen, und so habe ich mir mal einen Tag Büroarbeit gegönnt: Übersetzen des Buchs „Die Naturschutzschonstätte Moritzholm“ (K.R. Kupffer) und – was für mich etwas spannender ist – die Implementierung einer deutschen Version von www.slitere.lv mit der ich hoffentlich noch vor Beendigung des Praktikums zu Potte komme.
Wenn's weiter so regnet wird das kein Problem sein, aber schaun mer ma!

Nach Beendigung meines 8,5 Stunden-Bürotages mache ich mich über Irkaschs Gemüse her. Der Typ ist unglaublich und hat mir glatt einen ganzen Kübel voller Gemüse geschenkt – Karotten, Tomaten, Sellerie, Zwiebeln, einen großen Kürbis und dazu noch Petersilie, Basilikum und Schnittlauch – so viel, dass ich davon die ganze Woche essen kann - und das werde ich!
---------------------

Der nächste Tag verschlägt mich nach Ventspils, wo mir Dace (die Direktorin der Nationalpark Verwaltung) einige Sehenswürdigkeiten zeigt. Das Schloss beherbergt eine sehr moderne Ausstellung über die Geschichte von Kurzeme, angefangen von Funden aus der Steinzeit, bis zum zweiten Weltkrieg. Auch befindet sich hier gerade eine temporäre Trophäensammlung:


Haus der Dichter

Evangelische Kirche
Ventspils Castle

Tote Tiere

Alte Waffen - mit Metalldetektor im Wald gefunden

Im Anschluss treffen wir uns mit Vilnis zum Lunch und es entfacht eine sehr interessante Diskussion über Touristen, Besucherlenkung und Ziele des Naturschutzes. Litauen hat zwar eine sehr gute Umweltgestezgebung, das Problem ist leider die Umsetzung. Es wird sich selten an geltendes Recht gehalten und die höheren administrativen Ebenen forcieren ein solches Verhalten. Gut, dass am Samstag Parlamentswahlen sind und sich etwas ändern könnte. Schlecht, dass 80% der Litauer nicht glauben, dass diese Wahl ohne Wahlbetrug über die bühne geht. Eine kurze Recherche ergab, dass die Medienfreiheit auf eine Stufe mit Ghana gestellt wird, meinem letzten Auslandsaufenthalt, zu dessen Zeitpunkt zufälliger Weise auch gerade Wahlen war. Ich habe anscheinend einen Faible für Länder in Wahlzeiten oder einfach gutes Timing. Von den Wahlen in Ghana habe ich ein klares Bild, das sich in drei Stichsätzen festhalten lässt:

  • Es gibt keine „freien“ Wahlen wie wir es gewohnt sind, sondern es wird gewählt, wer einem als nächstes steht, wer dem eigenen Volksstamm angehört (davon gibt es in Ghana sehr viele), wer am meisten Geld bietet

  • Die Parteien profitieren vom geringen Bildungstand der Wähler (ein ghanaischer Politiker sagte zu einem Freund von mir: Natürlich profitieren wir davon, dass die Wähler nicht lesen können)

  • Von Deutschen Vertretern wird Ghana als der afrikanische Staat genannt, dessen Ökonomie und Demokratie am besten funktioniert (Was dann mit dann mit den anderen afrikanischen Staaten ist, kann man sich denken)
Zu guter Letzt:

Wenn Litauen also – ein Staat der europäischen Union - auf einer Stufe mit diesem Land genannt wird, dann bin ich schon sehr gespannt auf Samstag - Day of election.



Nach dem netten Gespräch fahre ich mit Vilnis heim und bereite mich seelisch darauf vor, den restlichen Nachmittag mit Einkaufen, Emails, Blog und entspannen zu verbringen – doch nix da. Zehn Minuten nachdem wir zu hause sind fragt Vilnis ganz unschuldig: You want to go to Forest? Seeing Beaver?
Ohne zu zögern sage zu, wer kann da nein sagen?

Dreissig Minuten später sind wir mitten im Wald, folgen einem kleinen Bachlauf mit einem der beiden Wasserfälle (70cm hoch). Auf einmal steht etwa 50 Meter vor uns eine Rotwild Kuh mit ihrem Kleenen vor uns und starrt uns an. Ich starre mit einem Grinsen zurück und nach wenigen Sekunden ziehen sie weiter.
Bei der Biberburg angekommen sucht Vilnis nach geeigneten Bäumen für unseren Beobachtungspunkt, den wir errichten werden, wie ich hier erfahre.




Und so einfach geht’s:
Man suche eine Baumgruppe in der Nähe der Burg, fälle acht Fichten mit einem Durchmesser von etwa 15 bis 20 Zentimetern, entferne die Äste. Drei Bäume werden zu einer Leiter, wobei einer in 40 Zentimeter Stücke zersägt wird, die als Sprossen dienen.



Man lege die fertige Leiter an einen Baum, klettere hoch und befestige Verbindungsstücke zwischen der Baumgruppe. Die unteren Stücke dienen als Fußstütze, auf den oberen wird eine Sitzbank befestigt, wobei die Stücke jeweils mit einem Seil nach oben geliftet werden, wie im Anschluss auch die Rucksäcke. Wenn alles oben ist und der Hochsitz fast fertig, nehme man das Seil und befestige es als Rückenstütze um die Baumgruppe – et voila – fertig ist der Hochsitz, von dem ich meinen ersten Biber in freier Wildbahn sehe.

Ich hoffe meine Mutter dreht mir bei Wiederkehr nicht den Hals um, wenn sie diese Bilder sehen sollte. Aber es war alles in bester Ordnung. Vilnis hat schon viele solcher Hochsitze gebastelt und nur wenige davon sind zusammen gekracht. Auch gab er mir den Rat, mich an dem Seil und einem Baum festzuhalten, sollte etwas passieren – für Sicherheit war also bestens gesorgt :-)

Leider sind wir etwas spät dran - es war bereits 19Uhr als wir fertig waren - so dass der Biber nach all dem Lärm erst in der Dämmerung heimkehrt und sich nicht zu nah herantraut. Aber es ist schon lustig durch das Fernglas zu sehen, wie er an einem Baum nagt und welche Geräusche er dabei produziert.

In nahezu völliger Dunkelheit machen wir uns dann von Dannen und suchen in der Dunkelheit unseren Weg heim – wir haben beide unsere Lampen vergessen. Über Stock und Stein, knietiefes Wasser und mit nur sehr sehr wenig Mondschein finden wir unseren Weg, den wir vorher zum Glück mit der Säge etwas frei gemacht haben. Der Biber hat überall seine Zähne im Spiel und legt unzählige Bäume um und knietiefe Gräben an, um die Bäume abzutransportieren – ein possierliches und hart arbeitendes Tierchen.





Am Freitag geht’s dann nach Riga, wo ich mit Vilnis und Anitra bis Samstag bleibe, danach geht’s in ein Biosphärenreservat im Osten des Landes und wir fahren bis zur estnischen Grenze. Und wie es ausschaut werde ich Riga mal bei Sonne kennen lernen, aber ich möchte hier nichts verschreien ;)
Schönes Wochenende!

Sonntag, 26. September 2010

Anstelle vieler Worte...

Ausblick über den Slitere Nationalpark vom obersten Deck des Leuchtturms – im Vordergrund eine Webcam(Natürlich mit Aufkleber des Baltic Green Belts versehen), deren Bilder hier zu sehen sind

Am Samstag haben wir zehn dieser Markierungspfähle für einen Fahrradweg eingegraben.


Ein Geschenk von Irkasch – leckere Pfifferlinge!

Hier sitze ich gerade – am Haupteingang eines Internates, dem Wlan Hotspot meines Vertrauens.
Die SchülerInnen haben sich langsam aber sicher an den komischen Ausländer mit seinem Netbook gewöhnt, nur noch selten komme ich mir sehr fehl am Platze vor ;)

Und hier wohne ich – die Treppe hoch. Ein gemütliches Holzhaus, in dem Vilnis, Irkasch, Helmutz und ich wohnen. Die Katze auf der Motorhaube heisst übrigens Minka :-)

Grandiose GIMP-Künste: 
Hier bin ich mit Helmutz (2) zur Kontrolle eines Schwarzstorchen Nestes (1), man beachte, dass das Nest in einer Höhe von etwa 13 Metern liegt, Helmutz also noch etwas höher ist. Leider hatte das Schwarzstorchenkücken nicht überlebt – es war nur noch der Ring sowie Knochen und Federn zu sehen.

Donnerstag, 23. September 2010

Nächtliches Gebrüll

*Tock tock tock* - irgendwas kommt mir bekannt vor. Habe ich das gerade geträumt? Moment, da ist Licht an und es läuft jemand auf dem Flur entlang. „Ich also nix geträumt“.
Schlurfend öffne ich Tür: yes please?
Und schon ziehe ich mich um kurz vor zwölf wieder an und mache mich mit Vilnis auf den Weg – denn es ist die erste klare Nacht, seit dem ich hier bin. Der Mond und tausend Sterne überziehen die nächtliche Landschaft mit einem silbernen Glanz. Die Luft ist unglaublich klar und frisch – ideale Bedingungen, Rotwild und Elche bei ihren verbalen Revierkämpfen zu belauschen.
Bevor wir zu einer geeignet Stelle für den totalen Lauschangriff kommen stellt sich uns aber ein tapferer Waldbewohner in den Weg und lässt uns nur schwer passieren.
Eine Nachtschwalbe - zum Greifen (und Überfahren) nah

Eine Nachtschwalbe (Nightjar) sitzt auf der Straße und lässt sich vom Scheinwerferlicht nicht irritieren.

Kurz nach dieser Zwangspause erreichen wir auch schon unseren ersten Lauschpunkt. Ich steige langsam aus dem Auto aus, schließe dir Tür leise und mache mich auf Zehenspitzen auf, Vilnis ein Stück in die Dunkelheit zu folgen. Kurz daraus ertönt auch schon ein Ruf – laut und widerhallend wie ein Donner ertönt der Brunftsruf eines Rothirsches. Durch das Fernglas ist auf einer Waldlichtung auch der Platzhirsch zu erkennen – im Hintergrund sieben Kühe, sein Harem.
Ich wusste ja, dass so ein Hirsch laut wird, aber solch eine Geräuschskulisse hatte ich bei Weitem nicht erwartet – unglaublich! 
Nächtlicher Einsatz

So fahren wir dann noch einige Punkte ab, lauschen Platzhirschen bei ihrem Brunftsruf und „Youngsters“ bei ihren Versuchen, sich gegen zwei Konkurrenten durchzusetzen – das geht durch Mark und Bein.
Meine Kamera vermag bei nächtlichen Verhältnissen leider keine guten Bilder von den Viechern in 300 Metern Entfernung zu machen, daher gebe ich hier mal ein paar Links, wie es etwa ausgesehen hat:


Auch waren alle Elche abgetaucht, Vilnis vermutet, dass sie evtl. schon schlafen und die Dämmerung wieder nutzen werden. Ich folge ihnen um halb drei, etwas durchgefroren aber sehr glücklich, ins Land der Träume.

Einen lieben Gruß an meinen lieben Bruder, der heute Geburtstag hat,
Erik vom Baltic Green Belt

Sonntag, 19. September 2010

Regen, Regen und.... Regen

Moin Wochenende gestaltet sich sehr unspektakulär - es regnet die ganze Zeit und ich fleetze mich in der Stube vorm Kamin auf dem Sofa. Ich habe herausgefunden, dass "wir" PayTV haben und auf einem Sender, "Viasat1000 Action East", die Creme dela Creme der Hollywood Blockbuster mit viel Wums läuft - was kann es Schöneres geben?
Gut, ich bin zwar nicht nach Lettland gefahren, um Fernsehen zu glotzen, aber auch das gehört doch irgendwie zur Kultur dazu und wenn ich mich dem komplett verwehre, könnte man mir mangelnden Integrationswillen unterstellen - und das wollen wir doch nicht, oder? Ausserdem ist Vilnis übers Wochenende nach Riga gefahren und.... ich bin um keine Ausrede verlegen ;)

Eine Neuerung gab es aber dann doch: Ich hatte meine erste Zecke!
In glauben an die Allmacht der Zeckenkarte (zu erwerben bei jedem Apotheker des (Miß)Vertrauens) denke ich mir nichts groß dabei. Ich packe also seelenruhig die Zeckenkarte aus, platziere sie wie auf der Abbildung zu sehen vor der Zecke und schiebe.
Errrm.. Was ist das? Die Zecke blieb nicht - auf dem Bild suggeriert - stecken und lässt sich nun ohne Probleme entfernen. Nein nein nein, sie rutscht statt dessen einfach drunter durch. Es passiert: Nüscht!

Klasse. Ganz großes Kino denke ich mir. Da vertraut man einmal der Werbung und einer gut ausgebildeteten Apothekerin und was hat man davon? Die Gedanken an Borreliose und die damit verbundene Panik machen sich doch langsam aber sicher bemerkbar.

Doch keine Aufregung - Vilnis ist vorbereitet. Auf Nachfrage zeigt er mir ein wunderbares Instrument schottischer Ingenieurskunst (Zumindest hat es ihm ein Schotte geschenkt) und dank dieser internationalen technischen Zusammenarbeit bekomme ich die Zecke doch noch heraus.
Mein Rat lautet also: Hände weg von der Zeckenkarte und bei diesem Gerät hier zugreifen!

Beste PayTV Grüße aus Mazirbe (Das Dorf in meiner Nähe),
Erik

Ps.: Ein kleiner Nachtrag zu "Men in Trees" - Ein Bild, das Vilnis von mir geschossen hat, nachdem ich etwa 3 Stunden in dieser Position ausgeharrt hatte. (Bei Interesse: Das Bild ist geogetagged)

Mittwoch, 15. September 2010

Men in Trees

*Tock Tock* - ich wache auf. Schaue auf meinen Wecker und dieser zeigt mir 5Uhr an. Vilnis macht also ernst.
Mechanisch ziehe ich meine Klamotten an und gehe zur Tür: „We're going?“ frage ich in die Dunkelheit - „We are going“ kommt unmittelbar als Antwort – Vilnis ist hell wach, ich nicht.

Worauf ich mich wohl eingelassen habe, als ich gestern sagte: „Why not?“.
Mit warmen und regenfesten Klamotten am Leib, zwei Paar Socken und Gummistiefeln am Bein fahre ich mit Vilnis hinaus in die Dunkelheit. Zuerst geht es über die Landstraße, dann über einen Waldweg, der uns in den noch dunkleren Wald führt. Bald schon laufen wir zu Fuß durch dunklen Wald, krachendes Totholz und hüfthohes Wasser – nur erleuchtet von unseren Kopflampen. Nach einer guten halben Stunde Fußmarsch zeigt mir Vilnis meinen Baum, der in drei Meter Höhe eine kleine Plattform trägt – mein Lager für die nächsten 3 Stunden. Mein Ausblick auf eine Lichtung, die sich schon bald mit Elchen, Wölfen und allem was sonst noch so kreucht und fleucht füllen wird – glaube ich zumindest.

Tatsächlich sehe ich in jedem grauen Schatten ein Tier, jedes sich bewegende Blatt und jeden sich bewegenden Strauch nehme ich genau unter die Lupe und bei noch so genauem Hinsehen bin ich mir einfach nicht sicher, ob ich mich täusche oder tatsächlich einen Elch vor Gesicht habe. 
 (Lichtung bei Tage - nix los)

Als die Sonne langsam aufgeht merke ich, dass ich mich wirklich jedes Mal getäuscht habe – die meisten Schatten haben sich nicht vom Platz bewegt und werden mit einem Mal zu Hecken und Sträuchern. Um neun Uhr kommt dann Vilnis von der gegenüber liegenden Seite der Lichtung zu mir gelaufen und holt mich von meinen Baum herunter – heute hatten wir kein Glück. Wahrscheinlich haben die von uns angezogenen Mücken solch einen Lärm gemacht, dass jedes auch nur halbwegs klar denkende Tier einen großen Bogen um uns gemacht hat.

(Sich tot stellende "Gras Snake" - das macht sie verdammt gut)
Auf dem Rückweg zeigt mir Vilnis immerhin jede Menge Spuren von Tieren, die in in der Nähe gewesen sind – ob die Spuren von heute oder gestern sind kann er leider nicht genau sagen. Ich für meinen Teil bin sicher, zumindest das Röhren eines Elches gehört zu haben, vielleicht hat er mich auch auf meinem Baum auch nur ausgelacht, aber immerhin – so denke ich mir - war er da. 

(Die Burg im Größenvergleich mit Vilnis - oben ist nur die äußerste Kante zu sehen)

Etwas weiter kommen wir zu einer alten und riesigen Biberburg, die laut Vilnis seit letztem Winter verlassen ist, weil entweder der Winter zu hart war und die Biber abgewandert sind oder sich ein Wolf über die Burgherren her gemacht hat. Beeindruckend, welch große Fläche so ein Nager unter Wasser setzen kann und wie tief das Wasser reicht. Auf der Rückseite entdecken wir aber doch noch Spuren eines Bibers – jedoch nur von einem Jungtier. Vilnis mutmaßt nun, dass das Biberareal zu groß wurde und frische Bäume zu weit entfernt von der Burg lagen, so dass es für einen Räuber einfach wurde, den Bibern aufzulauern. Nur ein Junges blieb über, welches nun verzweifelt versucht die Burg zu erhalten. Der sinkende Wasserspiegel deutet aber darauf hin, dass es ihm nicht gelingen wird – welch tierische Tragödie.

(Auf Tuchfühlung mit Biberkunst - drei Stämme eines Baumes, 
jeweils von innen angenagt)

Ich für meinen Teil schaffe es gerade noch meine müden und eingefrorenen Beine ins Auto zu hieven – kaum dass der Tag begonnen hat (es ist gerade einmal 14 Uhr) könnte ich vor lauter Erschöpfung schon wieder schlafen gehen – und das tue ich auch.
Gute Nacht! (...oder eher guten Nachmittag...)

Dienstag, 14. September 2010

In der grünen Hölle (oder auch: Mein erster Arbeitstag)

In der grünen Hölle (oder auch: Mein erster Arbeitstag)


Abstract:
Mein erster Arbeitstag führt mich durch den dichten und sumpfigen Wald mit all seinen lieben Einwohnern, vor allem Spinnen und Mücken. Trotz anderer Vorsätze nehme ich zum wiederholten Male eine Abkürzung und bekomme die gerechte Quittung - einen langen und beschwerlichen Heimweg.


Jahrhunderte lang haben Menschen versucht, sich die Natur untertan zu machen. In weiten Teilen Europas hat es auch wunderbar geklappt - Jahrzehnte der Industrialisierung haben kaum einen Flecken Landschaft unberührt gelassen - sie ist ein wie für uns Menschen gemachter Ort geworden. Der Slitere Nationalpark hat von dieser Entwicklung noch nichts mitbekommen - die Myriaden von Mücken eben sowenig.

Mein erster Arbeitstag beginnt sehr unaufgeregt:
Ich fahre mit Vilnis ins Büro, werde allen 14 Mitarbeitern vorgestellt (die meisten kenne ich schon von Freitag), klappe mein Netbook auf, gehe ins Netz, lese und schreibe Emails und dann endlich geht's mit der Besprechung meiner Aufgaben los (Kurz vorher hiess es noch "I do not know what to do with you right now" - das Lesen meiner Bewerbung hilft aber anscheinend)
Zum einen soll ich ein Buch (Die Naturschonstätte Moritzholm) aus dem Jahre 1931 ins Englische übersetzen, zum anderen soll ich verschiedene Kartierungen vornehmen:
- Den Bockkäfer Nothorinha Punctata, zu erkennen an harzigen Stellen an Kiefern,
- Spuren von Wild in einem bestimmten Gebiet
- Als Wege offen gehaltene Dünenabschnitte, legale und illegale Wege
Außerdem darf ich mich mit den Management- und Tourismusplänen auseinandersetzen (wenn ich möchte)

So viele verschiedene Aktivitäten hatte ich gar nicht erwartet und nun frage ich mich schon fast, ob die fünf Wochen dafür ausreichen werden - man darf gespannt sein . Um auch ja keine Zeit zu verlieren fahre ich dann auch nur noch kurz nach hause um meine hüfthohen Gummistiefel zu holen (die ich nachher noch lieben lerne) und dann entlässt mich Vilnis auch schon in die Wildnis.


Ich beginne an der westlichen Außenkante des Nationalparks, doch da die Straße nicht an den Strand heranreicht (was auch sehr gut so ist) entlässt mich Vilnis einige hundert Meter vorher. Ich soll nur dem Verlauf eines kleinen Flusses folgen. Als erste Vorbereitung besorge ich mir einen festen Stock, den ich als Stütze, aber auch vor allem dafür benutze, die vielen Spinnennetze vor mir zu entfernen. Es sieht zwar bestimmt nicht sehr cool aus, wenn ich mit dem Stock vor mir wedelnd durch den Sumpf laufe, aber das dauernde Wedeln hat sich bereits bei meinem Ghanaaufenthalt bezahlt gemacht. Ich habe keine Angst vor Spinnen, allerdings ist es ein mehr als unangenehmes Gefühl mit dem Gesicht voran in ein großes Spinnennetz zu rennen und nicht zu wissen, wo die Spinne nun Sitzt - am Hals oder am Mund? Im Haar oder auf der Stirn? Vielleicht ist sie doch an der Pflanze geblieben? Die Momente, in denen die Technik versagte, reichten mir bereits aus - mehr „Thrill“ brauche ich nicht, zumal ich sowieso die gesamte Zeit damit beschäftigt bin, die Mücken und Bremsen zu verscheuchen. Würden alle Spinnen genauso viel Zeit auf die Mücken verwenden wie ich, anstatt sich den ganzen Tag faul in ihren Netzen zu fleetzen, wäre die Welt ein schönerer Ort. Ich hatte einige Gelegenheiten, diesen Gedanken an sehr nahe gekommene Spinnen zu erläutern - ich befürchte nur, sie waren zu sehr mit sich selbst und ihrem zerstörten Zu hause beschäftigt.

Weil mir Vilnis erklärt hatte, ich brauche nur dem Fluss zu folgen, um an den Strand zu kommen, lande ich einige Male mitten im Schilfgürtel - wer kann denn auch ahnen, dass ein "freier" Fluss nicht gerade verläuft, sondern tausende Schlingen macht? Also wirklich.... (Semester I lässt grüßen) Nach dieser Erfahrung schwöre ich mir, auf den kleinen Trampelpfaden zu bleiben und keine Abkürzungen zu nehmen, die sowieso keine sind - daran hätte ich mich mal später halten sollen.

Nach diesen Strapazen wartete aber ein wunderschöner Strand auf mich, der von der Sonne hell erleuchtet und gleichzeitig erwärmt wurde - das war wunderbar.


(Sicht nach vorne)



(Sicht nach hinten)



(Sicht auf mich)



(Sicht auf Fernseher)


Fast am Ende meiner Tour stört nur der riesige Kadaver einer mutmaßlichen Kegelrobbe und der unglaubliche Gestank, der sich über den Strand legt. Dem Zustand nach zu urteilen liegt sie hier schon einige Zeit - die Haut ist schon gegärbt und Fliegen höhlen den Leichnam aus.
Nur ein paar Fotos für Vilnis und ich mache mich schnellstens auf, meine Lungen mit frischer Luft zu versorgen.





(Vermutlich eine Kegelrobbe – Grey Seal – Halichoerus grypus)

Einige hundert Meter weiter liegt denn auch schon der Fluss Mazirbe - der Fluss, der "meinem" Dorf den Namen gegeben hat. Nun darf ich denn auch meine Gummistiefel austesten. Auf der anderen Seite angekommen lasse ich die Schuhe aber an - bei jedem noch so kleinen Stopp setzen sich sofort (ich meine wirklich sofort) ~20 Mücken auf mich. Da es ja nicht mehr weit ist lasse, ich sie halt an.

Doch anstatt jetzt den normalen Weg zu laufen denke ich eine Abkürzung ausgemacht zu haben - fail! Nach etwa 800 Metern komme ich an einen anderen Fluss, in dem i h ganz versinken würde, wie sich nach einem kurzen Test (Auch hierzu ist der Stock wunderbar geeignet!) feststellt. Aber zurück laufen? Ach was! Irgendwann kommt bestimmt eine Brücke.
Die kommt auch - aber was für eine! Diese Holzbrücke ist eher ein verrotteter Steg, der sich in der Mitte bereits bedenklich ins Wasser neigt. Sei kein Weichei denke ich mir! Also versuche ich mein Glück und setze erst einen Fuß auf die Brücke, dann den zweiten und nach einem kurzen Wipptest inklusive lauten Knacken sehe ich zu, so schnell wie möglich Land zu gewinnen.


Der weitere Umweg führt mich durch hohes, mit Spinnen und Mücken durchsetztes Gebüsch und über kleine Seitenarmen des Flusses, die meine Stiefel locker aushalten. Dann komme ich schließlich doch noch an eine vertrauenswürdige Brücke - mit Logo des Baltic Green Belt projects! Auch wenn die Brücke hier etwas überdimensioniert erscheint (eine nicht morsche Latte hätte mir bereits gereicht) bin ich froh, sie hier zu haben.



Die letzten hundert Meter (Das GPS gibt eine zurückgelegte Strecke von mehr als 12 Kilometern an) lege ich fast leichtfüßig zurück und ich feiere mein Heimkommen mit einer schönen Dusche. (Das braune Wasser stört nimmer)