Dienstag, 14. September 2010

In der grünen Hölle (oder auch: Mein erster Arbeitstag)

In der grünen Hölle (oder auch: Mein erster Arbeitstag)


Abstract:
Mein erster Arbeitstag führt mich durch den dichten und sumpfigen Wald mit all seinen lieben Einwohnern, vor allem Spinnen und Mücken. Trotz anderer Vorsätze nehme ich zum wiederholten Male eine Abkürzung und bekomme die gerechte Quittung - einen langen und beschwerlichen Heimweg.


Jahrhunderte lang haben Menschen versucht, sich die Natur untertan zu machen. In weiten Teilen Europas hat es auch wunderbar geklappt - Jahrzehnte der Industrialisierung haben kaum einen Flecken Landschaft unberührt gelassen - sie ist ein wie für uns Menschen gemachter Ort geworden. Der Slitere Nationalpark hat von dieser Entwicklung noch nichts mitbekommen - die Myriaden von Mücken eben sowenig.

Mein erster Arbeitstag beginnt sehr unaufgeregt:
Ich fahre mit Vilnis ins Büro, werde allen 14 Mitarbeitern vorgestellt (die meisten kenne ich schon von Freitag), klappe mein Netbook auf, gehe ins Netz, lese und schreibe Emails und dann endlich geht's mit der Besprechung meiner Aufgaben los (Kurz vorher hiess es noch "I do not know what to do with you right now" - das Lesen meiner Bewerbung hilft aber anscheinend)
Zum einen soll ich ein Buch (Die Naturschonstätte Moritzholm) aus dem Jahre 1931 ins Englische übersetzen, zum anderen soll ich verschiedene Kartierungen vornehmen:
- Den Bockkäfer Nothorinha Punctata, zu erkennen an harzigen Stellen an Kiefern,
- Spuren von Wild in einem bestimmten Gebiet
- Als Wege offen gehaltene Dünenabschnitte, legale und illegale Wege
Außerdem darf ich mich mit den Management- und Tourismusplänen auseinandersetzen (wenn ich möchte)

So viele verschiedene Aktivitäten hatte ich gar nicht erwartet und nun frage ich mich schon fast, ob die fünf Wochen dafür ausreichen werden - man darf gespannt sein . Um auch ja keine Zeit zu verlieren fahre ich dann auch nur noch kurz nach hause um meine hüfthohen Gummistiefel zu holen (die ich nachher noch lieben lerne) und dann entlässt mich Vilnis auch schon in die Wildnis.


Ich beginne an der westlichen Außenkante des Nationalparks, doch da die Straße nicht an den Strand heranreicht (was auch sehr gut so ist) entlässt mich Vilnis einige hundert Meter vorher. Ich soll nur dem Verlauf eines kleinen Flusses folgen. Als erste Vorbereitung besorge ich mir einen festen Stock, den ich als Stütze, aber auch vor allem dafür benutze, die vielen Spinnennetze vor mir zu entfernen. Es sieht zwar bestimmt nicht sehr cool aus, wenn ich mit dem Stock vor mir wedelnd durch den Sumpf laufe, aber das dauernde Wedeln hat sich bereits bei meinem Ghanaaufenthalt bezahlt gemacht. Ich habe keine Angst vor Spinnen, allerdings ist es ein mehr als unangenehmes Gefühl mit dem Gesicht voran in ein großes Spinnennetz zu rennen und nicht zu wissen, wo die Spinne nun Sitzt - am Hals oder am Mund? Im Haar oder auf der Stirn? Vielleicht ist sie doch an der Pflanze geblieben? Die Momente, in denen die Technik versagte, reichten mir bereits aus - mehr „Thrill“ brauche ich nicht, zumal ich sowieso die gesamte Zeit damit beschäftigt bin, die Mücken und Bremsen zu verscheuchen. Würden alle Spinnen genauso viel Zeit auf die Mücken verwenden wie ich, anstatt sich den ganzen Tag faul in ihren Netzen zu fleetzen, wäre die Welt ein schönerer Ort. Ich hatte einige Gelegenheiten, diesen Gedanken an sehr nahe gekommene Spinnen zu erläutern - ich befürchte nur, sie waren zu sehr mit sich selbst und ihrem zerstörten Zu hause beschäftigt.

Weil mir Vilnis erklärt hatte, ich brauche nur dem Fluss zu folgen, um an den Strand zu kommen, lande ich einige Male mitten im Schilfgürtel - wer kann denn auch ahnen, dass ein "freier" Fluss nicht gerade verläuft, sondern tausende Schlingen macht? Also wirklich.... (Semester I lässt grüßen) Nach dieser Erfahrung schwöre ich mir, auf den kleinen Trampelpfaden zu bleiben und keine Abkürzungen zu nehmen, die sowieso keine sind - daran hätte ich mich mal später halten sollen.

Nach diesen Strapazen wartete aber ein wunderschöner Strand auf mich, der von der Sonne hell erleuchtet und gleichzeitig erwärmt wurde - das war wunderbar.


(Sicht nach vorne)



(Sicht nach hinten)



(Sicht auf mich)



(Sicht auf Fernseher)


Fast am Ende meiner Tour stört nur der riesige Kadaver einer mutmaßlichen Kegelrobbe und der unglaubliche Gestank, der sich über den Strand legt. Dem Zustand nach zu urteilen liegt sie hier schon einige Zeit - die Haut ist schon gegärbt und Fliegen höhlen den Leichnam aus.
Nur ein paar Fotos für Vilnis und ich mache mich schnellstens auf, meine Lungen mit frischer Luft zu versorgen.





(Vermutlich eine Kegelrobbe – Grey Seal – Halichoerus grypus)

Einige hundert Meter weiter liegt denn auch schon der Fluss Mazirbe - der Fluss, der "meinem" Dorf den Namen gegeben hat. Nun darf ich denn auch meine Gummistiefel austesten. Auf der anderen Seite angekommen lasse ich die Schuhe aber an - bei jedem noch so kleinen Stopp setzen sich sofort (ich meine wirklich sofort) ~20 Mücken auf mich. Da es ja nicht mehr weit ist lasse, ich sie halt an.

Doch anstatt jetzt den normalen Weg zu laufen denke ich eine Abkürzung ausgemacht zu haben - fail! Nach etwa 800 Metern komme ich an einen anderen Fluss, in dem i h ganz versinken würde, wie sich nach einem kurzen Test (Auch hierzu ist der Stock wunderbar geeignet!) feststellt. Aber zurück laufen? Ach was! Irgendwann kommt bestimmt eine Brücke.
Die kommt auch - aber was für eine! Diese Holzbrücke ist eher ein verrotteter Steg, der sich in der Mitte bereits bedenklich ins Wasser neigt. Sei kein Weichei denke ich mir! Also versuche ich mein Glück und setze erst einen Fuß auf die Brücke, dann den zweiten und nach einem kurzen Wipptest inklusive lauten Knacken sehe ich zu, so schnell wie möglich Land zu gewinnen.


Der weitere Umweg führt mich durch hohes, mit Spinnen und Mücken durchsetztes Gebüsch und über kleine Seitenarmen des Flusses, die meine Stiefel locker aushalten. Dann komme ich schließlich doch noch an eine vertrauenswürdige Brücke - mit Logo des Baltic Green Belt projects! Auch wenn die Brücke hier etwas überdimensioniert erscheint (eine nicht morsche Latte hätte mir bereits gereicht) bin ich froh, sie hier zu haben.



Die letzten hundert Meter (Das GPS gibt eine zurückgelegte Strecke von mehr als 12 Kilometern an) lege ich fast leichtfüßig zurück und ich feiere mein Heimkommen mit einer schönen Dusche. (Das braune Wasser stört nimmer)


1 Kommentar:

  1. Hey Erik,

    was war denn eigentlich Dein Auftrag bei dieser abenteuerlichen Erstbegehung? Hast Du die Strandaufgänge gezählt und kartiert?

    Grüße,
    Steffi

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