Montag, 30. Mai 2011

Häuslebauer im Schutzgebiet

Seit vier Interviews und sieben Tagen befinden ich mich bereits in Klaipeda, mein Untersuchungsobjekt ist der naheliegende Pajūrio regioninis parkas (Seaside Regionalpark)
Wo hast du deinen Kopf?  Plakataktion (10x4 Meter) in der Innenstadt von Klaipeda - kostenlos, weil der Werbeflächenmieter bei Leerstand eine Strafe hätte zahlen müssen

Die Situation im Seaside Regionalpark ist schon auf den ersten Blick eine völlig andere, als im Slitere NP:
Mit der drittgrößten Stadt Litauens im Süden – Klaipeda – und dem beliebtesten Sommerort der Litauer im Norden (Auch wenn es keine Insel ist, so hat es doch gewisse Ähnlichkeiten mit Sylt) – Palanga, liegt der Park alles andere als im Niemandsland.
Da Litauen eine Küstenlänge von 99 Kilometern auf 3,1 Mio. Einwohner hat (Vor zehn Jahren war es noch eine halbe Million mehr) bleibt nicht viel Raum, der ungenutzt ist. Auch der Regionalpark wird genutzt - und das immer mehr.

Der Park liegt im sogenannten „Kleinlitauen“, ein Gebiet, das lange zu Preußen gehörte. Hier lebten Deutsche und Litauer zu ungefähr gleichen Teilen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden – unabhängig der Nationalität – etwa 95% der Einwohner umgebracht oder in Gulags geschickt und das Gebiet zu einem militärischen Sperrgebiet erklärt.
Im Jahr 1992 wurde dann der Park eingerichtet, allerdings ohne eine Verwaltung – da in diesem Gebiet kaum Menschen lebten und das Land demnach zu mehr als 90% dem Staat gehörte, gab es keine Probleme mit Nutzungskonflikten und die Natur konnte tun, was sie wollte.
Die Verwaltung wurde erst im Jahr 97 etabliert, als abzusehen war, dass es irgendwann zu einem erhöhten Konfliktpotenzial kommen könnte, was dann auch geschah.
Umgestürzte Bäume auf einem der Wanderwege im Park - nicht einfach weggeräumt, sondern als Element mit einbezogen. Zur Freude vieler Insekten, die Totholz zum Fressen gern haben
Zu Beginn des neuen Jahrtausends wurde von einer neuen Regierung ein neues Gesetz verabschiedet. Dieses Gesetz sah vor, dass Anwohner Land im Park kaufen konnten – und sozusagen über Nacht kamen viele tausend neue Anwohner hinzu, in einigen Einfamilienhäusern waren auf einmal 40 oder 100 Leute gemeldet. Diese neuen Anwohner wollten natürlich nur eines: Land kaufen.
Und das taten sie auch fleißig und so blieben nur noch etwa 20% in staatlicher Obhut. Und als ob das nicht schon genug wäre, so kommt noch hinzu, dass diese Verkäufe von größten Teils korrupten Beamten getätigt wurden, die ganz genau wussten, dass nicht alles Land, was verkauft werden kann, auch tatsächlich Bauland ist. 
Vandalismus im Park - viele Schilder werden zerstört, Holz wird geklaut. Alle englischen Texte und Zeichen der EU werden rausgeschnitten - vermutlich von Nationalisten
Die besten Stücke wurden nur an Leute verkauft, die auch wirklich viel Geld zahlen konnten – direkt in die Tasche des Beamten hinein. Und, um das Glück abzurunden, gab es auch noch die Option, dass man Land tauschen konnte. Wer 50 Hektar in der Nähe von Vilnius oder Kaunas besaß, konnte das Land eintauschen – natürlich nicht eins zu eins, sondern an der agrarwirtschaftlichen Tauglichkeit des Landes gebunden. Und da große Teile des Pajuris ehemalige Dünen sind, kann man sich ausrechnen, dass dieses Land als Acker nicht viel Wert war. 
Bebauung in der "Recreational-Zone" - hier darf touristische Infratsruktur gebaut werden
Nur sind nicht alle Häuser für die Vermietung vorgesehen.

Und auf diese landwirtschaftliche Nutzung hatten es die großen Investoren auch nicht abgesehen, statt dessen wurde das Land parzelliert und gewinnbringend weiter verkauft. Um zum schönen Schluss dieser Posse zu kommen: Die Leute, die wirkliche Einwohner des Gebietes waren, gingen weitgehend leer aus, während sich die Investoren die Hände rieben und Millionen Gewinne einfuhren. 
"Grundstück zu verkaufen" - diesen Flecken sollte man nicht kaufen, außer man möchte darauf campen. Das hier gebaute siebte Haus auf dieser Parzelle musste wieder abgerissen werden - nur sechs waren erlaubt. Hartes Durchgreifen bei illegaler Bebauung

Windiger Baulandverkauf im Naturschutzgebiet? Das kenne ich schon aus dem Slitere, allerdings mit einem kleinen Unterschied: Wer im Pajuris kein gutes Land abbekam und sein Häusle nicht oder nur unter sehr strengen Auflagen bauen konnte, der war auf die korrupten Beamten und die Regierung sauer – daran entluden sich heftige Diskussionen der Gesellschaft und nun sind diejenigen, die kein Bauland im Pajuris haben, enge Verbündete der Regionalparkverwaltung. Beide wollen, dass der Park auch für die Allgemeinheit offen steht und nicht nur für die oberen Zehntausend, die hier Land erwerben konnten. 
Entkusselte Fläche - auf 500ha wurden Bäume und Sträucher entfernt, für ein vielfältigeres Biotop

Die Situation im Slitere ist dagegen noch eine andere, hier gibt es nicht so viel taugliches Bauland, jedoch ist das Gebiet der ehemaligen „livonischen Küste“ ein beliebtes Sommerhausrevier für die Highsociety Lettlands.
Wenn hier ein Normalsterblicher schlechtes Bauland kauft, dann entlädt sich die Wut nicht an den windigen Geschäftemachern, nein, sondern die Leute sind sauer auf die Nationalparkverwaltung und die „stupid laws“, die alle abgeschafft gehören – und die Nationalparke sowieso.
Und um dem Bogen zur Korruption zu schlagen: Die große Zeit der systematischen Korruption und Vetternwirtschaft ist noch lange nicht vor rüber:

Man kann nur hoffen, dass die Vernunft irgendwann siegt – aber bis dahin kann noch viel Zeit vergehen und vielleicht gab es bis dahin auch im Slitere schon den großen Ausverkauf.
Die Akropolis - ein riesiges Einkaufszentrum in Klaipeda, welches mir und einigen anderen noch von der Exkursion bekannt ist

1 Kommentar:

  1. ... irgendwie erinnert mich das Ganze an diverse andere Geschichten aus den heutigen USA, Südamerika, Australien ...
    Vielleicht muss man Geschichte deshalb nicht gleich als zyklisch-langweiligen "Ring of Fire" begreifen. Was man aber dennoch nicht abstreiten kann, ist ein gewisses Verhaltens-, bzw. Handlungsmuster des Menschen, leider oft mit der Tendenz zum meist wenig nachhaltigen Sägens am Ast, auf dem man mit fettem Bauche sitzt und sich mit dem einen Auge an der schönen Vielfalt der Welt labt, während das andere jedem noch so kleinen Kieselstein längst einen monetären Wert beigemessen und in Folge dessen (Aus-)Schlachtpläne gegen jene Schönheiten geschmiedet hat (muss garnicht mal bewusst passieren!). Gäbe es einen objektiven Ökodoc, ja er würde der Menschheit eine nicht gerade harmlose Form von Schizophrenie diagnostizieren, zumindest jedoch eine zutiefst irrationale Divergenz von Wissen und Handeln.

    Beste Grüße,
    Markus M.

    AntwortenLöschen