Sonntag, 22. Mai 2011

Zehn Stunden, 51 Minuten und 22 Sekunden

Seit Freitag früh bin ich in Riga – exakt um 0:04 habe ich gemeinsam mit meiner Mitfahrgelegenheit und Interviewpartner in Personalunion die Stadtgrenze erreicht - nach zweieinhalb Stunden Fahrt, 90 Minuten Interview und drei Schrecksekunden (Der Wildbock hatte genau so viel Angst wie wir, das konnte ich aus dieser Entfernung, nein Nähe, ganz genau erkennen) erreiche ich mein Quartier für drei Tage.

Zuvor hatte ich aber an meinem aller letzten Abend im Slitere noch zwei Begegnungen mit der örtlichen Fauna. Mit Ixodes Spec. hatte ich zuvor bereits drei Begegnungen, doch hatte ich bisher keine großen Probleme, mich dieses Ektoparasiten zu entledigen. „Safecard“ ansetzen, schieben und ziehen, Zecke ist raus.
Eigentlich. Das Problem dieses Mal war, dass dieser Artvertreter solch ein kleines Exemplar war, dass die tolle Karte keinen Halt bekam. Was macht man dann? Tja, das einzig mögliche: Abwarten, Tee trinken und mitsamt Zecke ins Bett gehen.
So richtig schlafen konnte ich aber nicht. Immer dieses Gefühl, dass da irgendetwas nicht stimmt, sich acht Beine bewegen, mein Blut in falsche Hälse gerät, der Holzbock langsam größer wird... Schöne Träume!
Am nächsten Morgen? Neuer Versuch! Aber was hat es genützt, mein Haus- errm.. Körpertier, hat nicht fleißig genug gesaugt und ist nicht größer geworden, die Safecard rutscht immer noch immer wieder ab, und beim dritten Versuch passiert's.
Körper ab, Kopf dran - Scheiße, und nun? Kopf dran lassen? Weiter saugen lassen? Pflaster draufkleben und hoffen, dass alles schon wieder gut wird? Keine tollen Alternativen....Tja, da fällt mir ein, genau in diesem Moment, fällt mir ein, dass ich letztes Jahr bereits eine ganz kleine Zecke hatte und mir Vilnis sein „device“ für diese Viecher gezeigt hat. Schublade auf, Device raus, Kopf raus – alles einfach. Aber wieso, ja wieso konnte ich darauf nicht VOR dem Schlafengehen kommen?

Nun, vielleicht liegt es einfach daran, dass ich vor der Entdeckung des Feindes ungefähr zehn Meter von einem Biber entfernt gestanden hatte. 
Biberhabitat (nein, nicht das Saunahaus)
Direkt vor der Haustür befindet sich ein Teich mit direktem Anschluss an den Wald (.. und an die Wasserleitungen des Hauses...) und dort wachsen kleine Leckerbissen für den Nager – junge Birken. Nachdem ich einen ganz heißen Tipp aus meinem Umfeld bekommen hatte wollte ich einfach mal sehen, ob es stimmt und sich das Testimonial meiner Zahnpastamarke wirklich so nahe an das Haus herantraut – trotz Tina der Wachhündin, die die meisten Nächte draußen Wache hält und jeden fiesen Eindringling vergrault. Tina aber hält heute nichts von Wache schieben, sie schläft tief und fest - braver Wachhund!
Wachhund Tina beäugt Minka beim Zerlegen eines gefangen Vogels - Wilder Slitere! ;)
Ich stelle mich also in der Dämmerung nach draußen und warte.... warte..... genieße die Zeit, warte..... warte.... und nix passiert.. Dann auf einmal höre ich – keine zehn Meter vor mir, am Ufer des Teichs, ein Scharren – der Mistkerl war die ganze Zeit da! Als ich mich für ihn in Luft aufgelöst habe treibt er munter seine Spielchen und scharrt und knarrt – einfach genial! Erst als ich – trotz besseren Wissens (es war schon sehr dunkel) – den Kameraauslöser betätige verschwindet er mit einem lauten „platsch“ im See und ward nie mehr gesehen. Mit diesem tollen Gefühl gehe ich stark euphorisiert in die Wohnung und entdecke die Zecke.

Touristische Hotspot-Karte: Nord-Kurland
Touristischer Hotspot: Dundaga Pils (Castle, Burg, Anwesen)
Nun, gerade eben, habe ich endlich das sechste der bisher sieben durchgeführten Interviews fertig „rohtranskribiert“ (für eine Stunde Audio benötige ich momentan noch 3 bis 4 Stunden). Ich habe nun sieben Interviews durchgeführt, 459 MB Daten in meine Dropbox geladen *link zur Box*, zehn Stunden, 51 Minuten und 22 Sekunden Aufnahme gesammelt. Slitere ist damit beendet. 
Infozelt beim "Meza ABC" (Wald ABC) nahe Kuldiga
Ich habe mit sieben sehr unterschiedlichen Menschen gesprochen, habe sie näher kennengelernt, habe versucht ihre Arbeit zu verstehen, habe versucht zu verstehen, wieso die Situation im Slitere so ist, wie sie ist: Im Aufbruch begriffen.
Bis vor zwei, drei Jahren war die Situation sehr angespannt, Naturschützer gegen alle anderen. Gegen die Anwohner, die seit 70 Jahren hier leben, gegen die Jüngeren, die hier etwas aufbauen wollen, gegen die reichen Landbesitzer, die vornehmlich aus Riga kommen und sich hier Sommerhäuser gebaut haben – viele sogar legal.
Diese Fronten sind immer noch da, aber zumindest mit den Leuten, die hier das gesamte Jahr über wohnen, ist man nun im engeren Kontakt und arbeitet gemeinsam an der Umsetzung der zweiten Ausgabe der Celotajs Diena – der Travellers-Days. Im letzten Jahr waren etwa 2000 bis 4000 (Ja, diese Angaben habe ich bekommen...) Leute unterwegs – an einem Tag!
Man beachte: Im gesamten Slitere leben gerade einmal 1100 Menschen, davon 1000 in Kolka. Also ein großer Erfolg, der nun wieder erfolgen soll. Dieses Mal an zwei Tagen, damit die Menschen auch hier übernachten und mehr als nur „ein gutes Gefühl“ in der Region bleibt. Alle sprechen bereits von einer „Tradition“, ich würde das so nicht sagen, würde mich aber freuen, wenn die zweite Ausgabe ein Erfolg wird und es noch eine dritte geben kann.
Dann komme ich vielleicht auch wieder zurück in den schönen Slitere – ich würde mich sehr freuen.

Hier noch ein paar Impressionen "Slitere aus der Vogelperspektive" - Mit bestem Dank an Vilnis Skuja für die Photos!







Was sind das wohl für Strukturen im Moor? Moor-quadrate als Landemarken für Aliens?  Nein, das Moor ist vor knapp zwanzig JAhren noch Wald gewesen, der in einem großen Waldbrand seind Ende Fand. Die Schläge sind aber immernoch zu erkennen - Gute deutsche Forstarbeit

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen